War es das Gipfelziel schulischer Waldläufe, die romantische Kulisse erster Rendezvous, war es unverhofftes Fotoglück einer mächtigen Kirchenfassade, war es eine abendliche Sonnenreflexion an einem Kapellengiebel, die Initialzündung zu intensiver Befassung wurde ?
Viele Jahre exzessiver Reisetätigkeit durch Deutschland und seine Nachbarländer, sehr oft am Rande gänzlich themenfremder Reisegründe haben eine Fülle guter Fotos erbracht. Der Wille, nahezu alle gleichartigen Objekte zu finden und zu besuchen, muss indes frommer Wunsch bleiben. Das Fehlen einschlägiger Standardliteratur, die schiere Masse an Objekten, das Verschwinden manchen Restes, andererseits auch die Unzugänglichkeit –selten wegen Privatgrundes, vornehmlich jener Ruinen in militärischen Übungsplätzen- erschweren das Unterfangen.
Schließlich darf es gar die Definition und Abgrenzung sein, die einen Abschluss oder eine endgültige Zahl verhindert. Soll zum Beispiel ein ruinöses Mauerwerk eines Nebengebäudes, gar Schuppens eines alten Klosterkomplexes –heute vielleicht Gutshof oder Hotel- Aufnahme finden, da als sehr bekanntes Fotomotiv untrennbar mit dem Objektort verbunden? Eher ja.
Soll eine in ein neues Wohn- oder Geschäftshaus integrierte Fassade einer alten Kapelle würdig sein, die Datenbank zu zieren ? Wohl nein.
Muss eine Örtlichkeit genannt werden, deren Objekt nur für wenige Jahre, zu Zeiten der Ausgrabung und Erforschung sichtbar gewesen ist und nun wieder (aus konservatorischen Gründen) im Boden verborgen ist, vielleicht aber eine informative Tafel aufbietet ? Eindeutig ja.
Wann schwingt das Pendel bei einer Halbruine aus Richtung Aufnahme, wenn zwar Dach intakt, das Innere aber verfallen ist?
Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Die Datenbank, der Atlas, muss und wird immer eine subjektive Auswahl des Verfassers und seiner Mitwirkenden sein. Mehr noch, sie wird dynamisch bleiben müssen, da Zeitläufe neuen (oder „endlich themenwürdigen“) Verfall erbringen, andere Ruinen wiederum einen Wiederaufbau, gar eine Rekonziliation erleben und, nicht zuletzt, neue Hinweise der geneigten Leserschaft zu wenig bekannten Stätten eingehen.
Beispielhaft die Kategorie „Burgkapelle“. Natürlich hatte nicht jede Burg ihre Kapelle, und manche heute sichtbaren Burgreste bergen minimale ehemalige Bestandteile der Kapellenräume, nicht selten in undefinierten Grundrissfragmenten versteckt. Aufnahme finden daher nur die prägnantesten Burgkapellen, wenn sie etwa ostentativ restauriert (Donaustauf, Eisenhardt), abseitig singulär (Lemberg, Mühlburg) oder wenigstens besonders erkennbar sind (Altenstein, Are).
Selten wird es der Zufallsfund en passant sein (anlässlich einer Exkursion zu alten Bahntrassen in Thüringen führte der Weg unverhofft an der verwunschenen Dorfkirchenruine Dietrichsroda vorbei), vielmehr mussten Jahre intensiver Recherche investiert werden, um diesen vorliegenden Atlas vorstellen zu können.
Primärquellen waren und sind Reiseführer. Das Problem hier liegt darin, dass diese umfangreichen Werke (Baedeker oder VEB tourist) meist zu alt sind, um noch aktuell zu sein. Im Falle „Westen“, da viele Kriegsruinen (in den Auflagen der 1970er noch genannt) wiedererrichtet wurden, im Falle „Osten“, dass Ruinen einerseits gesprengt und beseitigt oder, nach der Vereinigung ebenfalls wiederaufgebaut wurden. Bietet das mächtige „Kirchenlexikon“ (Buchberger und Nachfolger) an manchen Stellen wertvolle Hinweise und sind viele Enzyklopädien bequem vollständig digitalisiert und abrufbar – zeigen aber, dass in der Geschichte der Kirche und des Glaubens die Hülle, das Bauwerk nicht im Vordergrund steht.
Doch es sind Menschenwerke, mühevoll errichtet, gesegnet, geweiht, genutzt. Es sind oder waren Heimstätten des Gebets, des Gesangs, der Liturgie. Später, als Ruine, mal dem Menschen profan nutzend (Schuppen, Stall), mal noch zeitweise dienend (Gottesdienst im Freien), mal noch markant mahnend (Frauenkirche). Zusammengefasst mag der Atlas ein Abbild der Gegenwart im Spiegel der Geschichte sein und als Ehrerbietung zu verstehen sein, den diese Bauwerke verdienen, in Erninnerung an ihre (meist unbekannten) Errichter; heute Ziele individueller Wanderungen oder Wallfahrten, immer auch Orte stiller Andacht. Wichtigste neuzeitliche Quelle natürlich das WorldWideWeb. Aufwändige Webseiten erfreuen den Nutzer und bergen Hinweise zu Ruinen; im Januar 2018 fanden sich so
- In der Datenbank „kirchbau.de“ (über 12.000 Bauten) allein 160 Ergebnisse (Suche "Ruine")
- In der Wikipedia-Kategorie „Kirchenruine Deutschland“ 146 Treffer
- Abteilung „Kirchenruinenatlas“ bei „alleburgen.de“ 184 Einträge (darunter auch nichtsakrale Bauten)
Gerade die Kategorien in der freien Enzyklopädie gilt es, mehrgleisig abzuarbeiten, denn hier finden sich inkonsistente Gruppen oder völlig verschiedene „Datenbanken“, etwa bei Blick in die Kategorie „Kirchenruine Frankreich“, bei dem die englischen und französischen Versionen sichtlich wenig deckungsgleich sind. Bei allgemeiner Websuche zeigt die Variante „Bildsuche“ eine Möglichkeit des schnelleren „Übergehens“ schon bekannter Seiten; minimal abweichende Suchworte („verfallene Kapelle“; „abgetragene Kirche“; „Ruine Kloster“ usw.) ergeben erst nach Jahren wiederholter Recherche ein halbwegs aussagekräftiges Bild über die Objektmasse; derzeit noch rund einen neuen Fund pro Monat.. Zu Beginn des Jahres 2018 weist die Datenbank des Verfassers folgende Objektzahl auf:
Deutschland, rund 900 Einträge
Polen, etwa 150 Einträge
Tschechien, Slowakei, über 250 Einträge
Schweiz, Österreich, etwa 100 Einträge
Frankreich, etwa 700 Einträge
Gerade für das Ausland sind folgende Webseiten unerlässlicher Fundus:
Frankreich, „clochers.org“ – neben den großen Wikipedia-Kategorie-Sammlungen
Tschechien, „zriceniny.eu“ – 100 Ruineneinträge, europaweit